Heilpädagogisches Reiten

Das therapeutische Reiten setzt sich aus drei Teilen zusammen:

  • Hippotherapie; darunter versteht man die krankengymnastische Arbeit auf dem Pferd.  Hippotherapie ist der rein medizinische Einsatz des Pferdes zur Ergänzung und Erweiterung der üblichen Physiotherapie auf neurophysiologischer Grundlage.
  • Behinderten Reitsport; darunter versteht man den reitsportlichen Aufbau eines Menschen mit körperlicher Behinderung und die Vorbereitung auf Wettkämpfe, z. B.: Paraolympics
  • Heilpädagogisches Reiten; unter dem Begriff „Heilpädagogisches Reiten“ werden pädagogische, psychologische, psychotherapeutische, rehabilitative und soziointergrative Angebote mit Hilfe des Pferdes bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit verschiedenen Behinderungen und Störungen zusammengefasst.

Heilpädagogisches Reiten

1. Das Therapiepferd:

Die Eigenschaften in Interieur und Exterieur, die bei einem Pferd, das für die
Arbeit mit behinderten Menschen vorgesehen ist, vorhanden sein sollten:

  • Das Pferd sollte aus guter Hand kommen, keine bösen Erfahrungen gemacht und ein freundliches Wesen haben, voller Vertrauen dem Menschen und auch anderen Pferden gegenüber.
  • Das Pferd soll aufmerksam und lernwillig sein.
  • Über Einen weichen und raumgreifenden Schritt verfügen.
  • Ein ansehnliches Gesamterscheinungsbild, besonders beliebt bei Kindern ist eine lange Mähne zum kraulen.

Ein Therapiepferd muss vieles über sich ergehen lassen: es muss an Rollstühle und Krücken gewöhnt werden und an Patienten, die schwer sind und recht ungeschickt auf den Pferderücken gelangen. Sitzt der Therapeut mit auf dem Pferd, sitzt er hinter dem Schwerpunkt – dies ist manchen Pferden so unangenehm, dass sie buckeln. (ein solches Pferd wäre natürlich ungeeignet für das heilpädagogische Arbeiten) Ein Therapiepferd muss auch dann ruhig gehen, wenn es an beiden Seiten geführt wird oder neben einem schwer behinderten Patienten an jeder Seite ein Helfer zur Sicherheit mitgeht.

Auch muss das Pferd an die verschiedenen Aufstiegshilfen gewöhnt werden, wie z.B. Treppe oder Rampe. Eine Therapieeinheit dauert in der Regel 20 Minuten, das bedeutet für das Therapiepferd, dass in diesen Abständen immer der Reiter wechselt. Dies verlangt viel Geduld und Gleichmut von einem Pferd!

2. Der Therapeut

Der Reittherapeut muss über eine fachpädagogische Ausbildung, sowie eine reitsportliche Ausbildung verfügen. Des Weiteren muss er die notwendigen fachlichen Zusatzseminare des Kuratoriums für Therapeutisches Reiten absolviert haben.

3. Der Patient

Am heilpädagogischen Reiten können Menschen mit den unterschiedlichsten Beeinträchtigungen teilnehmen; dies sind z. B.:

Menschen mit einer Körperbehinderung (Spastiker, Menschen mit amputierten Gliedmaßen, Fehlstellung von Gliedmaßen, Sinnesbehinderungen, Contergan-Schädigung, Herz‑Keislaufschwäche usw.)

Menschen mit geistiger Behinderung; (Autisten, Down-Syndrom, ADHS Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivitätsstörungen usw.)

Menschen mit einer psychischen Erkrankung; (Schizophrenie, Depressionen, Stereotypien, Zwänge, Ticks, Posttraumatischem Belastungssyndrom, Ängste und Zwänge).

Bei dem aufgeführten Personenkreis, steht nicht die reitsportliche Ausbildung, sondern die individuelle Förderung über das Medium Pferd im Vordergrund; d. h. vor allem eine günstige Beeinflussung der Motorik, der Wahrnehmung, des Lernens, des Befindens und des Verhaltens.

Ziele und bisherige Wirkungen

Kurzfristig:

  • Verbesserung von Gleichgewichtsreaktionen,
  • Verbesserung von Körperschema/Körpererleben (psychomotorisch)
  • Verbesserung des Befindens und der Aufmerksamkeit (psychologisch)
  • Verbesserung der Herz-Kreislauftätigkeit, der Atmung und des Muskeltonus(physiologisch)



Längerfristig:

  • Verbesserung der Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit, und daher der Sozialfähigkeit
  • Verbesserung des Lernens im Sinne von Verbesserung der Lernvoraussetzung wie Konzentration, Motivation, Wahrnehmung/Orientierung, Selbsteinschätzung, Frustrationstoleranz
  • Verbesserung des Erlebens und Verhaltens insbesondere durch Verbesserung des Selbstwertgefühls, des emotionalen Antriebs- und der Wechselseitigkeit/ Integration im Gruppenkontakt (psychologisch);
  • Ganzheitliche Förderung der senso-motorischen Integration und damit der Bewegungssteuerung und des Bewegungsverhaltens insgesamt (psychomotorisch)

Wirkweise:

Als komplexer pädagogisch genutzter Entwicklungsreiz wirkt zunächst der dreidimensionale und rhythmische Bewegungsimpuls des Pferdes in den drei Gangarten Schritt, Trab und Galopp. Wobei durch die schwere der Behinderungsarten hauptsächlich im Schritt gearbeitet wird. Die Bewegungsimpulse werden vermittelt durch die Schwingungen des Pferderückens mit der Pferdebewegung insgesamt. Es entsteht ein Bewegungsdialog zwischen Reiter und Pferd, den man vergleichen kann mit dem tonischen Dialog, der die frühe, nicht sprachliche Verständigungsform zwischen Mutter und Kind bezeichnet. Ein Ausweichen ist in diesem Dialog nicht möglich und bedingt das Eingehen einer Beziehung, zunächst im Dialog mit dem rhythmisch sich vorwärts bewegendem Pferd. Hier bereits setzt der Reitpädagoge an und gestaltet die Ansätze von Beziehungsaufnahme aktiv mit. (als Übung, z.B. das Pferd berühren, Streicheln von verschiedenen Körperteilen und diese Benennen).

Der Prozess der ganzheitlichen Förderung der Persönlichkeit geschieht psychomotorisch:

Das Pferd erfüllt dabei die Funktion des Mediums und kann vom Patienten und vom Therapeuten individuell genutzt bzw. eingesetzt werden zur

  • Befriedigung von Bedürfnissen nach sozialer Nähe und nonverbalem Körperkontakt
  • Selbst- und Fremdwahrnehmung ( Feedback, Übertragungs- und Spiegelungsprozesse) Ausführung sozial-kognitiver Lernprozesse (Pferd als Erziehungshelfer)
  • Anbahnung von sozialen Kontakten, Kommunikation und Kooperation (Pferd als Partner in der Gruppe, Gruppe als soziale Realität).

Innerhalb dieses komplexen Dialoges werden zunächst das Selbstverständnis und die Regeln der Selbstregulation des Klienten wahrgenommen und akzeptiert. Es erfolgt Einigung mit dem Klienten über notwendige Schritte der Veränderung und Entwicklung in einer partnerschaftlichen und zugleich heilpädagogischen Interaktion. Es entsteht eine dreidimensionale Beziehungssituation:

Pferd – Patient – Pädagoge = Beziehungsdreieck

In Verbindung mit gezielten Übungen des Reitens lassen sich zusätzlich Bewegungs- und Haltungsstabilität, Koordination sowie eine Rhythmisierung und Harmonisierung des Bewegungsverhaltens anbahnen. Es entwickelt sich eine verbesserte Richtung der Aufmerksamkeit sowie eine erhöhte Wechselseitigkeit im Sinne eines Einstimmens auf einen Anderen sowie der Antwortbereitschaft in der Kommunikation.

 

Die Eigenständigkeit des Patienten wird in hohem Maße respektiert als notwendige Entwicklungsbedingung bei gleichzeitigem Input zur Entfaltung der Dialog- und Sozialfähigkeit sowie der Selbststeuerung und Handlungskompetenz.